Freitag, 4. August 2017

Kindheitserinnerungen eines Bauernmädchens von den 1930er Jahren.

"Wenn wir Kinder krank waren hatte meine Mutter für alle Wehwehchen ein Heilmittel parat. Sie sagte immer: "Wenn es für das Vieh gut ist, dann ist es auch für die Menschen gut."
Bei Fieber bekamen wir einen Kranz aus Krenscheiben um die Gelenke gewickelt. Die Krenscheiben wurden ganz trocken und zogen das Fieber heraus. Auf den Bauch legte sie  uns Leinsamen und feuchte Lehmbeutel. Zum Trinken bekamen wir Hollundersaft und Lindenblütentee. Wir waren nicht traurig wenn wir krank waren, denn dann gab es immer besonders gute Sachen zum Essen. Eingeweichte Semmel in Milch war meine Leibspeise. Wenn wir uns in den Finger schnitten, war das weniger angenehm. Da wurden wir mit Jod eingepinselt, das wie Feuer brannte.
Ein verstauchter Knöchel wurde mit essigsaurer Tonerde umwickelt. Mutter hatte aber auch immer jede Menge Heilkräuter auf Lager. Z.B. Rosmarin, Sauerampfer, Beifuß und Tausendguldenkraut für die Magenbeschwerden von Vater. Rhabarber als Abführmittel und Bohnenkraut bewirkte das Gegenteil. Brennesseltee war zum Blut reinigen und Harn treibend. Eibisch, Habichtskraut, Spitzwegerich waren bewährte Hustenmittel. Schafgarbe und Huflattich wirkten bei Erkältungen und Kamille bei allen Entzündungen. Bei Magenbeschwerden half auch Kalmuswurzel. Baldrian und Pfefferminztee bekam ich bei Herzklopfen und Angstzuständen.
Beim Zähneziehen hatte Vater eine eigene Methode. Er band den schmerzenden Zahn  an einen starken Zwirn und das andere Ende an die Türschnalle der offenen Tür. Dann schlug er mit Schwung die Tür zu und der Zahn war herausgerissen.  
Wenn bei uns einer Masern oder Mumps hatte, dann hatten es immer gleich alle vier Kinder. Meine zwei Brüder, meine Schwester und ich. Einmal hatten wir alle Scharlach und lagen gemeinsam so lange in einer Kammer bis wir wieder gesund waren. Mutter hatte auch einige Medizinbücher, die sie bei unserer Behandlung zu Rate zog.
Es war schon schlimm wenn jemand bei uns krank war, aber fast noch schlimmer war es wenn eine Kuh oder ein Schwein krank war.
Wenn eine Kuh kalben sollte schaute Vater immer vor dem Schlafengehen in den Stall ob auch alles in Ordnung war. Wenn ein Kälbchen geboren wurde durften wir Kinder nicht zusehen. Trotzdem konnten die Erwachsenen das nicht verhindern. Wir knieten uns vor die Öffnung, bei der die Hühner aus dem Stall ein und aus gingen nieder und spähten durch das Loch in den Stall. Dort konnten wir sehen wie das Kälbchen aus der Mutterkuh herausgezogen wurde. An den Beinen wurden Stricke festgebunden und dann wurde mit vereinten Kräften gezogen. Wenn es dann da war, ganz nass, wurde es sofort mit Stroh abgerieben damit es nicht fror. Es hat auch gleich verstanden wo man bei der Mutterkuh die Milch saugen konnte um den Hunger zu stillen".  





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