Freitag, 23. August 2019

Der Affen-Prozess



Wenn man alte Zeitungen durchstöbert, um wissenswertes aus der Vergangenheit der Pyhrn / Priel-Region zu erfahren, findet man manchmal auch erstaunliche Artikel die nicht unmittelbar unsere Region betreffen, aber trotzdem sehr interessant zu lesen sind.
Die Linzer "Tages-Post" vom 14. Juli 1925 berichtet in dieser Ausgabe von einer  Gerichtsverhandlung in USA, die aus heutiger Sicht kurios ist. Es ging um Darwins Evolutionstheorie. Seither sind 94 Jahre vergangen und die  Evolutionstheorie von dem britischen Naturforscher Charles Robert Darwin (geb.1809, gest.1882) ist heute  unumstritten. Auch Papst Johannes Paul II erklärt die Theorie Darwins für vereinbar mit dem Glauben. Darwin gilt wegen seiner  Beiträge zur Evolutionstheorie weltweit als einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler (Wikipedia).


Dayton (Tennessee) USA.
Dieses kleine Landstädtchen im Staate Tennessee steht im Brennpunkt des amerikanischen Interesses.
Am 10. d. M. begann dort der nunmehr weltberühmte Prozeß gegen den Verbreiter der Darwinschen Entwicklungstheorie.


Professor John Tee Scopes, der erst 23 Jahre alte Angeklagte,  hatte seiner Klasse aus einem wissenschaftlichen Handbuch für höhere Schulen einen, den Urzustand der Menschen behandelnden Abschnitt vorgelesen. Dieser inkriminierte Absatz verstieß gegen ein kürzlich vom Staate Tennessee erlassenes Gesetz, das die Verbreitung der Darwinschen- und anderer Entwicklungtheorien unter schwere Freiheitsstrafen stellt.

Der Streitfall hat über das ganze Land übergegriffen und es
in zwei Lager geteilt:
in die Darwingläubigen und die Kirchengläubigen.
Es gibt heute in ganz Amerika keine Religionsgemeinschaft und keine wissenschaftliche ­Vereinigung, die diesem Sensationsprozeß nicht mit
Spannung entgegensieht und auch in der einen oder anderen Form versucht hat, in ihn einzugreifen. Der ehemalige Staatssekretär Präsident Wilsons, William Jenning Bryan, der erbittertste ­Feind der Darwinschen Entwicklungstheorie in Amerika, hat sich der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt.
Seine Dienste sind mit Dank angenommen worden,
und Bryan fungiert sozusagen als Nebenkläger. Er hat erklärt, dass der Prozeß ein Kampf auf Leben und Tod zwischen den Gegnern und Freunden der Darwinschen Theorie sei.
Die Verteidigung wird von dem Richter Neal, dem früheren Professor für Staatsrecht an der Universität Tennessee, geführt. Neal wurde vor einigen Monaten aus dem gleichem Grund aus der Universität ausgeschlossen. Unter den übrigen Verteidigern, die sämtlich auf Bezahlung verzichtet haben, befindet sich ein zweiter ehemaliger Staatssekretär Wilsons, der New Yorker Anwalt Colby und der berühmte Kriminalanwalt Clarence Darrow, der vor einem Jahr in Chicago die beiden Millionärssöhne Loeb und Leopold vor dem Galgen rettete. Die Verteidiger beabsichtigen,­ die Verteidigung so zu führen, daß eine prinzipielle Entscheidung über das Recht eines Staates, im Gegensatz zur amerikanischen Verfassung, die Lehrfreiheit zu beschneiden, herbeigeführt wird. Namhafte Forscher und Wissenschafter, darunter Thomas Edison, haben sich der Verteidigung zur Verfügung gestellt. Sie alle werden von Bryan als ehrlose Schufte gebrandmarkt, die Amerikas Kindern den Glauben rauben wollen. Auch die einheimische Bevölkerung, die zur Lehre Darwins auf der Seite der Bryaner steht, verhält sich gegenüber den aus allen Staaten herbeigeeilten Zeugen für die Verteidigung äußerst reserviert. Die fortschrittlichen Elemente haben sich in einem besondern Klub vereinigt und werden den Fortgang der
Verhandlungen Tag für Tag durch den Rundfunk über ganz
Amerika verbreiten. Man rechnet, daß ungefähr 2000 Zuschauer den Verhandlungen ­beiwohnen werden. Ebenfalls sind Vorkehrungen getroffen, daß es bei einer eventuellen Fortführung der Gerichtssaalszene auf der Straße nicht zu Zusammenstößen kommt. Die Erregung ist aufs höchste gestiegen.

Ungeheure Menschenmengen strömen seit dem frühen Morgen nach Dayton,
um dem Darwin-Prozeß beizuwohnen. Im Baseballpark ist ein Lautsprecher aufgestellt und die Vorbereitungen der Presse lassen sich nur mit denen vergleichen, die für die Nationalkonvente der großen politischen Parteien getroffen werden. Die Telegraphendrähte der Presse sind direkt unter dem Sitz des Richters angebracht, so daß die Verhandlung des Gerichtes unter Begleitung eines ständigen Summens und unter dem ununterbrochenen Geklapper der Schreibmaschinen geführt wird. Bevor die Verhandlung offiziell eröffnet wurde, ersuchte der Richter Raulston den Geistlichen, ein Gebet zu sprechen. Die Menge, die zum guten Teil in Hemdärmeln, zum Teil sogar ohne Kragen, der Verhandlung beiwohnte, verharrte während des Gebetes in ergebenem Schweigen. Die Anklage wird darauf gestützt, daß ein Gesetz des Staates Tennessee verletzt worden sei und daß nach der Verfassung sowohl der Union wie des Staates es rechtens sei, daß der Staat bestimme, was in seinen Schulen gelehrt werden solle. Man rechnet damit, daß der Ankläger mit der Verlesung der Anklage in einem Tage fertig sein wird. Die Verteidigung hat 50 Vertreter der Wissenschaft als Zeugen beantragt, weswegen man mit einer Prozeßdauer von einem Monat rechnet. Der Staatsanwalt protestierte gegen die Gleichsetzung der Bibel mit der Evolutionstheorie und schlug Vertagung vor, die auch gewährt wurde.

Dayton, 10. Juli. Der Vorsitzende unterrichtete in seiner Eröffnungsrede die Geschwornen über die juristische Frage und wies besonders daraufhin, daß das zu fällende Urteil nicht zu entscheiden habe, ob das Gesetz unklug­
sei oder nicht. In der neuen Anklageschrift heißt es,
daß Scopes entgegen dem Gesetz und vorsätzlich in den Schulen des Staates Tennessee gewisse Lehren verbreitet habe, welche die Geschichte von der göttlichen Erschaffung
des Menschen, wie sie in der Bibel erzählt wird, leugnen. Scopes habe gelehrt, daß der Mensch von Tieren niederer Ordnung abstamme. Diese Lehre richte sich gegen den Frieden und die Ruhe des Staates.

Am 21. Juli wurde Scopes zu 100 Dollar Strafe verurteilt, später jedoch vom Obersten Gericht von Tennessee wegen eines Formfehlers freigesprochen.

Charles Robert Darwin

Evolutionstheorie

Charles Robert Darwin Karikatur

                                       Professor John Tee Scopes.


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