Freitag, 2. August 2019

Der musikalische Sauhirt von Windischgarsten. Erinnerung von einer landwirtschaftlichen Reise.





Von den Erlebnissen eines Pferdeeinkäufers im Stodertal und Windischgarsten vor rund 150 Jahren. Die damalige Schreibweise wurde weitgehend beibehalten, der Artikel wurde etwas gekürzt und angepasst.



Es war gegen Ende des Monats Juni im Jahre 1870, als ich von meiner Oberbehörde den Auftrag erhielt, eine bestimmte Anzahl zur Zucht tauglicher Stuten der mittelschweren norischen Rasse und einen entsprechenden Hengst in den deutschen Provinzen Österreichs zu dem Zweck anzukaufen, damit dieselben theils auf dem meiner Leitung anvertrauten, theils auf einem benachbarten Gut zur schweren Arbeit und gleichzeitig auch zur Aufzucht schwerer Arbeitspferde verwendet werden.
Ich fuhr nach Lambach um mich mit dem k.k. Hengstendepotcommandanten Major S. in Stadl bei Lambach zu beraten. Dieser hatte die Güte, mich bestens zu informieren und rieth mir, vor Allem über Windischgarsten mit Umschau im Hinter - und Vorderstoderthale nach Liezen, Irdning u.s.w. in das obere Ennstal zu gehen. Einer seiner ältesten Wachtmeister, der die Stutenbesitzer kannte, behauptete das in den beiden Stodertälern und um Windischgarsten herum zwar nicht viele aber vorzügliche Stuten zu finden wären.
Es war, glaube ich, am 5. oder 6. Juli 1870, als wir um 4 Uhr Früh von Lambach ausfuhren. Es hatte schon einige Tage geregnet und da im prachtvollen Salzkammergut der Regen, wenn er einmal einfällt, nicht so bald wieder aufhört, so war auch dieser Morgen grau, wolkenreich und kühl. Gegen Mittag lichtete sich ein wenig das Gewölke. Während des Mittagsaufenthaltes erkundigten wir uns nochmals eingehend um den richtigen Weg in das hintere Stoderthal. Wir bekamen zur Auskunft, dass wir gleich knapp vor der Brücke über die Steyr die große Landstraße verlassen müssen. Wir gelangten in der That gegen halb 4 Uhr Nachmittags zur Steyrbrücke, vor welcher wir rechts von der Landstrasse abbogen. Die Seitenstraße führte in einen schönen Fichtenwald an dem rechten Ufer der Steyr. Wir mochten abermals eine gute Viertelstunde weiter gefahren sein, da hoben sich die Wolken, augenscheinlich rasch und als wir nach einer kurzen Weile eben an eine Bergkante kamen und die lichter stehenden Bäume einen Ausblick gewährten, da zerriß der Wolkenschleier gänzlich, der blaue Himmel wurde sichtbar und goldener Sonnenschein durchflutete das schöne Thal. Nach kurzer Zeit hatten wir den höchsten Punkt der Straße erreicht und nun ging es in einem weiten Bogen auf der anderen Seite des Berges hinab. Nach Verlauf einer halben Stunde hielt ich die Pferde, die heute so wacker gehalten, vor dem Pfarrhause in Hinterstoder an. Der Pfarrer, über mein Anliegen unterrichtet, theilte mir bereitwilligst mit, dass wohl wenig, aber vielleicht doch einige Stuten aufzutreiben sein werden. Er bot sich freiwillig an, Tags darauf (es war eben Samstag) sowohl vor der Frühmesse, wie vor dem Amte von der Kanzel herab die Bauern, die allenfalls Pferde zu verkaufen haben, aufzufordern, sich an uns zu wenden und war schließlich noch so liebenswürdig uns den Gasthof des dortigen k.k. Revierförsters Vogel zu empfehlen.Wenige Minuten später waren wir im Försterhause, wo für gute Verpflegung unserer Pferde gesorgt wurde.
Der alte Vogel war ein prächtiger Wirth, der uns durch seine muntere Redseligkeit viel Vergnügen machte, aber auch manch sehr praktischen Wink gab. „Wissen`s, meine Herrn“, sagte er, „wer bei uns und in Obersteier Roß`kaufen will, der soll im Frühjahr oder im Herbst herkommen; denn im Sommer sind die „Füllerlstuten“ alle droben auf der Almweide. Bei uns hier im Stoderthal will a jeder , der a Roß hat, a „Rhodusstute“ (die Nachkommen einer besonders guten Stute mit Namen "Rhodus") haben, aber wirklich schöne Stuten gibt`s gar wenig. Wenn sie über Vorderstoder nach Windischgarsten fahren, dann sprechens beim Rumpelmeyer vor, der hat echte schöne „Rhodusstuten“ und eine gibt er gewiß her, wenn auch der Junge drüber flennen (weinen) möcht.“

Der Rumpelmeyer, ich nenne absichtlich seinen Namen, weil ich der Ansicht bin, ein jedes Land kann sich beglückwünschen, welches solche Bauern aufzuweisen hat. Er und seine Tischgenossen, alle sonntagsmäßig schwarz gekleidet, schienen offenbar dem wohlhabenden Theil der Bevölkerung anzugehören. Rumpelmeyer lud uns ein ihn zu besuchen und meinte: „Da ich auch eine schöne Mutterstute, eine echte „Rhodusstute“, besitze, die bei der letzten Prämierung mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde, so würde es mich sehr freuen, wenn die Herren mich auch besuchen würden, und wer weiß, wenn die Herren mir das Tier gut zahlen, so geb` ich es vielleicht her!“. Selbstverständlich sagte ich zu und des anderen Morgens machten wir uns auf den Weg.
Die Sonne meinte es heute gut mit uns und brannte derart auf unsere Rücken, dass wir froh waren den Hof Rumpelmeyers erreicht zu haben. Kühler Schatten umfing uns in der hochgewölbten Thoreinfahrt dieses alten, solid gebauten halbstockhohen Hauses. Der freundliche Hausherr sichtlich über unseren Besuch erfreut, bat uns vor Allem ein wenig in seiner Behausung auszuruhen.
Er machte uns mit seinem Bruder dem „Kellermeister“, wie er ihn nannte, bekannt und bedeutete ihm, einen Krug Most mit Butter und Brot in die Stube zu bringen. Wir traten nun in ein großes , zwar altmodisch gewölbtes , aber schönes lichtes Zimmer, im Halbstock; doch wie erstaunte ich, als ich an der Fensternische ein schönes, fast neues Wiener Clavier stehen sah! Da ich selbst ein großer Musikfreund bin, ward ich hiedurch äußerst angenehm überrascht und auf meine Frage:“Ja wer spielt denn hier Clavier?“ ertheilte mir Rumpelmeyer die lakonische Antwort: „Mein Bruder, der Sauhirt!“ Ich hielt dies Anfangs für einen Spaß unseres Wirthes und näherte mich dem offenen Flügel, auf dessen Pult ein mir bekanntes, schwieriges Trio von Mendelsohn auflag! Meine Überraschung ging in Staunen über, da ich gleichzeitig bemerkte, dass auch Violine und Cello im Zimmer sich befanden, so frug ich abermals, ob man dieses Stück nicht zu hören bekommen könnt? Rumpelmeyer meinte hierauf:“ Wissen`s, mein lieber Herr, ich spiel wohl auch ein bisserl  Clavier und Geige, aber mein Theil ist eigentlich das Singen am Sonntag in der Kirche. Das Stück aber dort (auf das Clavierpult deutend), das studiert grad der Sauhirt, mein Bruder, der Toni, und Violine spielt wieder der Kellermeister. Schade das der Cellist, der Schulmeister, nicht da ist; so könnten`s das Stück vielleicht hören!“
(Der Schulmeister war auch der Klavierlehrer von Toni dem "Sauhirt"). Ich meinerseits war, offen gestanden, sehr neugierig, den „Sauhirten“ ein Mendelsohn`sches Trio am Clavier vortragen zu hören und entgegnete: “Wissen`s lieber Herr Rumpelmeyer, wenn es weiter an nichts fehlt als den Cellist, so übernehme ich dessen Stimme!“ Freudig überrascht schlug der Hauswirth (ein Mann von beiläufig 32 Jahren) in die Hände und mit den Worten: „Na, des ist a Freud“ rief er gleichzeitig zur Tür hinaus: “Kellermeister und Sauhirt kommt`s schnell herauf, wir machen ein bisserl Musik!“ übergab mir das Cello und richtete Noten und Pult bereit. Gleich darauf erschien auch schon der Kellermeister, ein hübscher junger Mann von 25 Jahren und hinter ihm der musikalische Sauhirt – der Gegenstand meiner Neugierde. Ein Jüngling von beiläufig 18 bis 19 Jahren, groß und schlank gewachsen, mit etwas vorgebeugter Haltung, ein wenig blassem, angenehmen Gesichte, und dichtem, schwarzem üppigem verwirrtem Haare, in Hemdsärmeln, vorne eine in der Eile seitwärts aufgeschürzte Schürze und Holzschuhe an den Füßen. Er trat ein und näherte sich schüchtern und wahrscheinlich ob unserer Gegenwart etwas verlegen dem Clavier. Auf die Aufforderung er möge das aufgelegte Trio spielen stammelte er bescheiden eine Entschuldigung, dass er dasselbe erst studiere und wahrscheinlich stecken bleiben werde. Ich redete ihm ermuthigend zu und kurz darauf begannen wir das Trio, das wir – zu meinem immer größer werdenden Staunen – bis auf wenige, sehr schwierige Stellen, die unser junger Freund offenbar noch nicht gut durchstudiert hatte und deshalb etwas verschwommen wiedergab, ganz gut, ja stellenweise sehr gut zu Ende brachten. Ich beglückwünschte den jungen Burschen zu seinem hübschen Talente und seinem schönen Fleiße, worüber dessen sanfte Augen sichtlich freudig erglänzten. Ich beglückwünschte auch seine beiden Brüder, namentlich den ältesten Rumpelmeyer, dass er einen so feschen Kellermeister und einen so lieben musikalischen Sauhirten zu Brüdern habe, trank auf ihr Wohl ein Glas Most und bat den Hausherren, der in die gehobene Stimmung versetzt war, mir aber nunmehr auch seine Rhodusstute zu zeigen und - zu verkaufen, da ich zu Mittag im Gasthaus die gekauften Tiere erwarten müsse. Wir gingen sofort zum Stalle, wo uns die Stute samt ihrem Fohlen gezeigt wurde. Sie war in der That eine sehr gut gebaute, hübsche Braunstute, die ich sehr gern gekauft hätte. Um den Preis fragend machte der Mann ein komisch verlegenes Gesicht und antwortete lange zögernd endlich: „Die Herren haben mir heute einen so freudigen und glücklichen Tag durch ihren lieben Besuch bereitet, dass ich – dass – ich mich am selben Tag nicht von meiner braven Stute trennen möcht!“ Ich machte ihm hierauf – um zu sehen, ob er wirklich nicht verkaufen wolle – ein relativ sehr hohes Anbot. Aber er fiel mir gleich, mit der Hand abwehrend, in`s Wort und meinte : „Na ,na! Mein lieber Herr! Lassen wir das für heut`! Kommens über das Jahr wieder, vielleicht kann ich mich dann entschließen!“



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