Freitag, 24. März 2017

1938 war der Anschluß Österreichs an Deutschland

Eine ehemalige Volksschülerin aus Hinterstoder erzählt aus ihrer Erinnerung:
"Unterernährte und arme Kinder wurden verschickt. Ich war dabei und kam nach Barsinghausen bei Hannover. Ich war 9 Jahre alt und furchtbar aufgeregt. Jeder Regenwurm hat mehr von der Welt gesehen als ich zur damaligen Zeit. Schweren Herzens ließ mich Mutter nach Deutschland ziehen.
Meine Zöpfe wurden zu Affenschaukeln geflochten, dazu trug ich ein rosa Kleid und selbst gestrickte Stutzen mit Zopfmuster. Auf der Brust hing ein Schild wie eine Hundemarke mit meinem Namen. Mit dem Rucksack auf dem Rücken machten wir uns auf den Weg zum Autobus, der uns zum Bahnhof brachte. Ich stand die ganze Zeit im Zug am Fenster und sah mir die vorbeiziehende Gegend an. Ich konnte mich nicht satt sehen an der fremden Welt. Als ein glühender Kohlenfunke in mein Auge flog minderte das meine Schaulust. Mein rosa Kleid war ganz schwarz vom Kohlendreck als wir in Hannover ankamen. Wir kamen in eine große Halle, die mit Hakenkreuzfahnen geschmückt war. In einer Reihe aufgestellt wurden wir von den Pflegeeltern ausgesucht. Ich hatte große Angst als ein dürrer Mann mit abstehenden Ohren auf mich zukam. Er sah aus wie der Teufel, nur ohne Pferdefuß. Die Familie Horstmann (Name geändert) sprach hochdeutsch und die bei ihnen wohnende Tante plattdeutsch. Wenn die Tante, die in einem Rollstuhl saß sprach, verstand ich überhaupt nichts. Herr Horstmann war Geschäftsmann und Handelsvertreter mit einer Import- und Exportfirma. Tief im Inneren des Landes hatten sie große Felder und Lagerhallen mit landwirtschaftlichen Produkten. Die Tochter hieß Inge und schlief schon als wir ankamen. Sie hatte ein eigenes Kinderzimmer. Am nächsten Tag wurde mir alles gezeigt. Neben Inges Zimmer war mein Schlafzimmer. Das war aber nicht so komfortabel wie Inges Zimmer. Mir machte das nichts aus, denn Komfort war ich nicht gewöhnt. An der Wand hing ein Bild mit einem Spruch: "Wer leben will der kämpfe also, und wer nicht streiten will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht". Adolf Hitler
Inge hatte viele wunderschöne Puppen in allen Größen. Natürlich gab es auch viele Puppenkleider und einen Puppenwagen.
Bei Tisch mußte ich in aufrechter Haltung sitzen und die Portionen mussten aufgegessen werden. Eselwurst kannte ich nicht und mußte mich übergeben. Ich mochte auch keine eingelegten Heringe und gekochten Schinken. Wenn keiner zusah ließ ich alles unter dem Teppich verschwinden. Morgens hat die Putzfrau das Malheur gefunden aber sie hat mich nie verraten. Ich tat ihr leid weil ich so schwächlich und ängstlich war. Von Herrn Horstmann musste ich mir sagen lassen, dass es mir an Manieren mangelt, besonders beim Essen. So fein mit Messer und Gabel zu essen war ich nicht gewöhnt. Auch bei der Morgentoilette gab es Ärger. Ich wollte mich nicht nackt ausziehen, obwohl es schön warm war im Bad. Ich schämte mich vor Inge, die mich verspottete. Sie war eifersüchtig auf mich weil mich die Tante schützte. Inge zwickte mich als ich nackt dastand in den frisch geimpften Pocken-Oberarm. Es spritzte eine wässerige Flüssigkeit heraus und ich bekam große Narben die nie mehr weggingen. Das Heimweh packte mich. Ich weinte und wollte nach Hause. Obwohl es mir an nichts fehlte vermisste ich mein vertrautes Heimathaus und meine Lieben zu Hause. Am schlimmsten war die Sehnsucht nach meiner Mutter mit ihrer gütigen Stimme. Sie hatte nie etwas auszusetzen an mir. Den ganzen Tag hatte ich nur einen Gedanken, nach Hause. Ich mußte lernen nach der Schrift zu sprechen, aber ich kam immer wieder in meinen österreichischen Dialekt hinein.
Ein schöner Tag war wenn ich von zu Hause einen Brief bekam. Vor Aufregung wurde es mir ganz schwarz vor den Augen. Beim Antwortbrief musste ich immer zum Schluss "Heil Hitler" schreiben.
Einmal hatten wir Gäste aus Norderney, von dort wo die Familie in den Ferien Urlaub machte. Auch Toni von der Landverschickung wurde zu meiner Aufmunterung  zum Essen eingeladen. Er war aus dem Mühlviertel und schlang das Essen voller Gier hinein. Herr Horstmann sagte : "Man isst nicht wie ein Ferkel!" Toni schaute ihn erstaunt an. Herr Horstmann fragte: "Weißt Du denn nicht was ein Ferkel ist?" "Ja", antwortete Toni, "ein Ferkel ist ein Kind vom alten Schwein".
Langsam gewöhnte ich mich ein und nahm zu. Ich wurde zusehends dicker und war nun keine "Schmalgeiß" mehr, wie meine Mutter immer sagte. Oft wurden mir neue Kleider gekauft. Frau Horstmann hatte ein Textilgeschäft. An ein Kleid kann ich mich besonders gut erinnern. Es war rot und auf dem Stoff waren kleine Sträußchen mit Enzian und Edelweiß eingedruckt.
Eines Tages machten wir einen Ausflug nach Hannover in das Schloß Herrenhausen und in den Zoo. Die Fahrt ging durch das Deistergebirge und durch einen grünen Buchenwald. Die Ziegen und Steinböcke im Zoo erinnerten mich an meine Heimat. Ich fing bitterlich zu weinen an. Herr Horstmann kaufte mir ein Babyflascherl mit Schnuller für die Puppen zu Hause.
Wie ein geölter Blitz schoss ein Ziegenbock auf mich zu und zog den Schnuller von der Flasche ab. Bei der Fütterung auf dem Geflügelhof sah ich zum ersten Mal wie ein Pfau ein Rad schlägt. Das hat mich ungemein fasziniert und brachte mich auf andere Gedanken. Nach 6 Wochen war es so weit und wir durften wieder nach Hause. Der Rucksack war vollgestopft mit Geschenken. Auch das Essbesteck bekam ich zum Andenken mit.

Als ich zu Hause ankam, wurde ich angestarrt wie ein Geist, denn ich habe jetzt nach der Schrift gesprochen. Bei meinen Schulfreunden bin ich in der Achtung gestiegen und ich mußte immer wieder erzählen wie es mir gegangen ist. Dass ich soviel Heimweh gehabt habe, das habe ich nicht erzählt". 


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